Montag, 15. Juni 2009

Mein Amerika

Mein Amerika

Warum sind wir hierher gefahren? Wir sind ja in Russland. Alles auf Russisch. Moroschenoje Eis, knigi Bücher, rasprodascha Ausverkauf, schuby Wintermäntel – und das bei der Hitze, Café Arbat, Restaurant Odessa. Russische Tücher, Frauen, die auf der Straße Pirogen verkaufen. Man hört nur Russisch. Nur dass wir in Brighton Beach sind, am untersten Ende von Brooklyn, nicht weit von Coney Island. Es ist ja ganz angenehm, dass alle Leute Russisch sprechen, mein Englisch ist eh hundsmiserabel und Russisch kann ich ganz gut. Aber eigentlich wollte ich ja nach Amerika. Meine russische Freundin Zina aus Lemberg hat alles organisiert. Genau genommen ihre ukrainische Freundin Ira aus Rochester, die mit uns einige Tage in New York verbringen will und zuerst mich vom Flughafen Newark und dann Zina vom J. F. Kennedy Flughafen mit einem ukrainischen Taxifahrer abgeholt hat. Das war eine Mordsaufregung. Zina wollte, dass ich mit ihr von Frankfurt fliege, aber das hätte doppelt so viel gekostet. Sie war schon Wochen vorher aufgeregt. So sehr, bis ich mich schließlich auch aufgeregt habe. Und dann kam noch Ira dazu, die mir aufgeregte Emails geschrieben hat und am Telefon gesagt hat, dass sie sich große Sorgen macht, wie wir uns alle drei in New York treffen werden. Fast hätte es eh nicht geklappt. In Brüssel war ich sieben Minuten vor Abflug nach New York am Gate. Da hab ich Blut geschwitzt. Zu wenig Zeit zum Umsteigen. Noch einmal durch alle Kontrollen. Irgendetwas hat bei mir rot aufgeleuchtet. Mussten die Füße durchleuchtet werden. Die Dame hatte überhaupt kein Verständnis für mich. Ich hätte halt früher kommen sollen. Es leuchtet rot, sie muss die Füße kontrollieren. Und von der letzten Kontrolle war es dann noch so weit bis zum Gate. Ich hatte vor Aufregung schon einen völlig ausgetrockneten Mund. Aber Glück gehabt. Der Taxifahrer fährt uns nach Brighton in ein russisches Hotel. Der Besitzer, ein Russe, natürlich ein russischer Jude, mit einem riesigen Bauch, denkt gar nicht daran uns mit dem Gepäck zu helfen. Er kann nichts tragen, weil er gerade eine schwere Operation hatte. Und der Taxifahrer kann auch nichts tragen, weil er kürzlich eine Bypass Operation hatte. Müssen wir unsere Koffer selbst die steile Treppe hinauf schleppen. Ein Gang mit vier kleinen Zimmern, zwei Toiletten und zwei Duschen am Gang. 70 $. Für New York ist das billig. Zina und Ira sind zusammen in einem Zimmer. Die Russen können ja auf winzigstem Raum zusammen wohnen. Das sind sie aus sowjetischen Zeiten gewohnt. Ich hab wenigstens allein mein Zimmer. Aber es gibt keinen Internetanschluss. Ist auch nicht zu erwarten in so einem Tschocherlhotel. Wir müssen gleich wieder los. Der Taxifahrer wartet auf uns. Ira will, dass er uns noch ins Reisebüro bringt. Sie hat eine Exkursion nach Boston und Washington telefonisch bestellt. Die müssen wir jetzt unbedingt sofort bezahlen. Das Reisebüro ist natürlich auch russisch. Und die Exkursionen werden natürlich auf Russisch sein. Hätte ich gar nicht so viel Englisch lernen müssen. Der Taxifahrer ist gar kein richtiger Taxifahrer, er ist ein Bekannter von Ira und war in Lemberg Zahnarzt. Er lebt aber hier vom Taxifahren, fährt aber nur mit seinem eigenen Wagen. Seine Kunden sind russische Juden. Ob er Antisemit ist? Er ist Ukrainer und die sind oft Antisemiten. Er hat auch so einen großen Bauch, eine Glatze geschnitten und vorne ganz kaputte Zähne. Nur mehr einen Schneidezahn und der ist ein schwarzer Stummel. Er lädt uns noch auf einen Tee zu sich nach Hause ein. Er wohnt ganz in der Nähe vom Hotel. Eine kleine Zweizimmerwohnung. Schaut auch irgendwie sowjetisch aus, sogar das Haus erinnert mich ein bisserl an Russland. Es wohnen auch nur Russen in dem Haus. An der Tür des Nachbars ist eine Mesusa angebracht. Zorjan, der Taxifahrer, sagt, es gibt im Haus viele Leute, die eine Mesusa angebracht haben. Das kenn ich von Israel. Manche sowjetische Juden sind plötzlich fromm geworden. Die Frau arbeitet als Putzfrau. Sie kann kein Wort Englisch. Braucht sie auch nicht, sie kennt nur Leute, die Russisch oder Ukrainisch sprechen. Viel Geld haben sie nicht. Aber sie sind zufrieden. Nach Lemberg wollen sie nicht mehr zurück. Dann fährt uns Zorjan in ein Geschäft, wo man billig einkaufen kann und die Verkäufer Russisch sprechen und gleich daneben zeigt er uns ein russisches Restaurant, wo man billig essen kann. Im Geschäft gibt es nur grausliche Sachen, Brot, dem man schon von weitem ansieht, dass es ungenießbar ist. Nichts fürs Frühstück, da kann man nichts machen. Kauf ich ein abgepacktes Biskuit. Schaut auch nicht toll aus. Zina muss gleich billige T-Shirts anschauen. Sie wird noch sechs Wochen Gelegenheit haben, Fetzen anzuschauen. Aber gleich angekommen, muss sie im größten Ramsch stieren. Das ist immer noch das sowjetische Defizit. Wir gehen ins Restaurant. Die Speisekarte ist auf Russisch und die Speisen auch. Also gibt es am ersten Abend in Amerika Boschtsch und Seljedki. Bin gespannt wie das weiter geht. Der Borschtsch und die Seljedki sind aber tatsächlich ausgezeichnet.
In der Früh steigt einem schon der Geruch von Sosiski, den russischen Knackwürsten, in die Nase. In dem Hotel wohnen natürlich nur Russen und die kochen am Herd am Gang ihre russischen Würste. Das ist so wie die Italiener, die überall in der Welt ihre Spagetti haben müssen. Gemeinsames Frühstück in Zinas und Iras Zimmer, aufklappbarer Tisch und Klappsessel, weil das Zimmer so winzig ist. Eine moderne Komunalka. Wie die zusammen in dem halben Doppelbett schlafen? Jetzt will ich endlich New York sehen. Aber es sind noch Besorgungen in Brighton zu machen. Handykarte für Zina, Handy für mich. Zina besteht darauf, dass ich ein Handy habe. Besorgungen kann man nur in Brigthon machen, weil man hier Russisch spricht. Ira lebt schon 17 Jahre in Amerika, kann aber offenbar schlechter Englisch als ich. Brighton Beach ist nicht gerade ein elegantes Viertel. Kleine Häuschen, ein bisschen schmutzig. Ein Mutterl sitzt auf einem Stockerl und verkauft selbst gestrickte Socken. Ein Mann hat ein paar Mützen in der Hand, die er verkauft. Das kenn ich doch aus Russland. Jetzt seh ich endlich die Hochbahn, die mitten durch die Brighton Avenue führt. Das ist ungeheuerlich. Das ist eigentlich die U-Bahn, die als Hochbahn weiter geht. Mitten durch die Straße knapp an den Häusern vorbei. Sie ist schon hundert Jahre alt. Ich hatte schon ein altes Foto gesehen. Überall werden russische Zeitungen verkauft. Vor einem Geschäft hängt ein Zettel auf Russisch: Wir suchen eine Verkäuferin, Englischkenntnisse nicht erforderlich. Das Meer ist gleich hier. Schaut, man kann es sehen. Da gehen wir aber jetzt hoffentlich nicht hin. Ich will jetzt endlich nach Manhattan. Ira hat für jede von uns einen Plan der Subway besorgt. Die Frau beim Fahrkartensschalter kann nicht Russisch. Die U-Bahn ist exterritorial. Schließlich schaffen wir es, eine Siebentagekarte zu kaufen. Wohin fahren wir? Zum Empire State Building. Nein, da fahren wir jetzt nicht hin. Dann eben nicht. Zum Chrysler Building. Nein, da fahren wir jetzt auch nicht hin. Zur 5th Avenue. Wir fahren zum Times Square, sagt Ira, und von dort fahren wir mit einem Sightseeing Bus. Das ist ein Doppeldeckerbus. Oi je, das fängt ja gut an. Nach einer endlosen Fahrt mit der U-Bahn sind wir endlich am Times Square. Ira stürzt sich gleich auf einen der Männer, die Zettel mit Informationen über die Sightseeing Busse verteilen. Jetzt will ich auf keinen Fall mit so einem Bus fahren und Zina auch nicht. Ira nervt. Wir marschieren los. Schauen, schauen, schauen. Schließlich bin ich das erste Mal in New York. Broadway. Die Ira hat uns natürlich mitten ins Touristenzentrum führen müssen. Macht nichts. Es ist trotzdem toll. Die beiden müssen in jeden Souvenirladen gehen. Meinetwegen. Aber ich will endlich die Wolkenkratzer sehen. Wenn das so weiter geht, kann ich nicht alles sehen, was ich will. In New York gibt es so viel zu sehen. Zina will einen Computer kaufen. Aber doch nicht am ersten Tag. Sie will sie trotzdem jetzt anschauen. Und eine Filmkamera, so wie ich sie habe. Wozu sie die haben will. Sie kennt sich mit dem Computer gar nicht aus. Sie kann kaum Emails schreiben. Das hat gar keinen Sinn. Das Rockefeller Center muss in der Nähe sein. Ich kenn mich schon in New York aus, ich hab mich sehr gut vorbereitet. Wir müssen noch zur Pennsylvania Station, Fahrkarten nach Rochester kaufen. Aber doch nicht heute. Ira nervt. Die können wir sicher auch am Grand Central Bahnhof kaufen. Den möchte ich mir sowieso anschauen. Jetzt übernehme ich die Führung, rechts rein zum Rockefeller Center. Meine New York erfahrene Freundin Susi hat schon gesagt, die Touristen erkennt man daran, dass sie immer hinauf schauen. Ich muss auch immer hinaufschauen. Die Damen müssen auf die Aussichtsplattform. Ich hab eine Höhenphobie und meide Aussichtstürme. Derweil flaniere ich herum und schau. Ich kann mich gar nicht satt sehen. Ich möchte mich gerne wo hinsetzen und hinauf schauen. Nur Plätze in der Sonne. Für Anfang September ist es noch ganz schön heiß. Wenn Ira unbedingt noch Fahrkarten kaufen will, dann können wir ja zum Grand Center Bahnhof fahren. Der muss sehr schön sein. Wie schön muss erst die Pennsylvania Station gewesen sein. Mitte der 60er Jahre haben ihn Idioten abgerissen. Es gibt hier tatsächlich keine Fahrkarten nach Rochester. Da hat die verrückte Ira recht gehabt. Todmüde fahren wir nach Hause. Eingekauft wird in Brighton. Wir könnten ja in das Restaurant St. Petersburg gehen. Schaut sehr sowjetisch aus. Lieber einkaufen im russischen Geschäft. Hier gibt es alles wie in Russland. Russische Wurst, russischen Käse, echten Kefir, Kwas, Sefir, russisches Konfekt. Aber Topfen aus Israel. Die Damen wollen Fisch kaufen. Geräucherten Thunfisch und Lachs. Natürlich auf russische Art geräuchert. Die beiden tun so, als ob das ganz normal ist, dass man in New York russische Lebensmittel kauft. Damit nicht alles Russisch ist, kaufe ich einen kalifornischen Wein. Da liegt einer am Gehsteig. Das kenn ich auch aus Russland. In Russland saufen bekanntlich auch die Juden. Also auch in Brighton Beach. Ich muss ein Email schicken, dass ich gut angekommen bin. Mit meinem neuen Minicomputer komm ich im Hotel nicht ins Netz. Kein freier Zugang. Muss ich ins Internetcafé. Vielleicht komm ich ja in einem Café ins Netz. Es ist schon ½ 10, aber ich geh trotzdem noch weg. So gefährlich wird es schon nicht sein. Auf der Brighton Avenue gibt es ein Starbuck. Das gibt es hierzulande an jeder Ecke. Sogar in Wien nisten sie sich schon ein. Aber ins Internet komm ich hier auch nicht mit meinem Laptop. Und an der Theke spricht auch niemand Russisch. Das einzige Etablissement hier, in dem nicht Russisch gesprochen wird. Sogar in der Bank sprechen sie Russisch. Aber Starbuck ist eben amerikanisch. Also ins Internetcafé, wo man natürlich auch Russisch spricht. Es ist schon ½ 11. Sehr gemütlich ist es auf der Straße nicht. Sehr schmutzig. Der Müll türmt sich am Straßenrand. Ich melde mich bei den Damen zurück, damit sie sich nicht sorgen. Sie haben inzwischen den Wein ausgetrunken. Ich bin todmüde und schlaf sofort ein.


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